Mimik by Fitzek Sebastian

Mimik by Fitzek Sebastian

Autor:Fitzek, Sebastian [Fitzek, Sebastian ]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426439852
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2022-10-24T00:00:00+00:00


»Da haben Sie es«, schloss Blankenthal und faltete den Brief zusammen.

»Was?«, fragte Hannah, die sich kraftlos an der Sofalehne festhalten musste, so lange, bis sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

»Der Inhalt dieses Briefes passt zu Ihrem Geständnis. Ihr Vater beschreibt die Gefühlslage, die Sie zu den Morden trieb. Sie sind ausgebrannt. Die Arbeit hat Ihre Seele zerstört. Sie haben Ihre sozialen Kontakte abgebrochen.«

»Ein Burn-out macht niemanden zu einem Massenmörder«, widersprach sie.

Blankenthal sah sie an wie ein störrisches, uneinsichtiges Kind, bei dem man sich jedes weitere Wort der Erklärung sparen konnte. Er presste den linken Mundwinkel ein, ein deutliches Signal der Missachtung und emotionalen Distanzierung. Die kurze Schonzeit, die er ihr eingeräumt hatte, war vorbei, jetzt schien er sie nur noch loswerden zu wollen.

»Außerdem, was ist das für eine Papprolle, die er erwähnt hat?«, fragte sie.

Blankenthal bückte sich und hielt auf einmal eine Rolle in den Händen, von der Sorte, mit der man Plakate, Urkunden und andere Dokumente transportierte, die nicht geknickt werden durften.

»Sie lag neben dem Brief auf dem Schreibtisch.« Er entnahm ihr ein Bild, das auch für einen Laien als die Aufnahme eines menschlichen Gehirns erkennbar war.

Hannah überwand ihren Unwillen und trat näher an ihn heran.

»Ein Röntgenbild?«

»MRT , genauer gesagt.« Er hielt es vor die Glühlampe der Stehleuchte. »Jetzt will ich sie mir noch mal genauer anschauen.«

Die Initialen H.H. standen in der rechten oberen Ecke des Bildes, daneben das Datum der Untersuchung (es lag nicht einmal drei Wochen zurück) und eine Patientennummer.

H.H. = Hannah Herbst?

Das ist mein Kopf? Die Innenansicht meines Gehirns? Das Psychopharmaka benötigt, die mein Vater mir verschrieben hat und ich abgesetzt habe?

In der linken Ecke befanden sich ebenfalls Initialen, diesmal L.P.

Und wer soll das sein?

In der Rolle steckten weitere, kleinere Bilder, die Blankenthal nach und nach hervorzog, ausbreitete und ins Licht hielt. Sie schienen verschiedene Querschnitte und Vergrößerungen eines bestimmten Bereichs des Gehirns festzuhalten. Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die teilweise an Bilder von Walnüssen erinnerten.

»Seltsam«, kommentierte er.

Hannah konnte sich auch keinen Reim darauf machen. Was hatte ihr Vater geschrieben?

Wie dem auch sei, ich habe getan, worum du mich gebeten hast.

Das ergab doch keinen Sinn!

»Wieso sollte ich meinen Vater bitten, mir diese Aufnahmen zu schicken?«, fragte sie Blankenthal.

»Das ist nicht das, was mich wundert.«

»Sondern?«

»Das sind Bilder des Mandelkerns.« Blankenthal tippte mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle des größten MRT-Bildes.

»Die Amygdala?«

»Die Zentralstelle unserer unbewussten Angstreaktionen«, sagte er, was etwas zu kurz gegriffen war. Die Amygdala war als inneres Alarmzentrum nicht nur dafür zuständig, bei einer Bedrohung Angst- oder Fluchtreaktionen auszulösen, erinnerte sich Hannah. Sie spielte auch eine Schlüsselrolle bei der Erkennung emotionaler Signale. Menschen mit einer beschädigten Amygdala konnten zum Beispiel oft kein Mitleid empfinden.

»Und diese Aufnahmen hat mein Vater für mich besorgt?«

»Nein. Das war nicht sein Auftrag.« Blankenthal löste einen Notizzettel von der Rolle, der Hannah bislang verborgen geblieben war. Jetzt sah sie, dass auch ihn die winzige, akkurate Handschrift ihres Vaters zierte.

Diesmal glaubte sie, seine sanfte und dennoch Respekt einflößende Arztstimme zu hören, als Blankenthal die Worte ablas:

Liebe Hannah,

der Arzt, den ich für Dich ausfindig machen sollte, heißt Dr. Lennert Pfahl, Neuroradiologe bei Potsdam.



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